Tretkurbelrad
Es ist massiv, schwer und laut und kaum jemand würde heute noch auf die Idee kommen mit diesem Gefährt auch nur einen Meter weit zu fahren. Dabei hat es doch allen modernen Komfort den es benötigt: Schutzbleche, höhenverstellbare Tretkurbel, Schleifbremse, eine Halterung für die Anbringung einer Vorderlampe, einen ehemals gepolsterten Sattel, der je nach Beinlänge des Fahrers auf einer langen Blattfeder verschiebbar ist und zwei solide mit Bandeisen beschlagene Speichenräder aus Vollholz. Nein, dieses Zweirad ist wirklich kein Drahtesel – es ist vielmehr ein Eisenross und bringt 25 Kilogramm auf die Waage.
Hergestellt wurde das eiserne Fahrrad in der Pinneberger Maschinenfabrik der drei Gebrüder Schlüter, die dort unter anderem auch sogenannte Tretkurbelvelocipede bauten. Die 1864 von Maximilian Schlüter als Eisengießerei gegründete Fabrik musste jedoch wegen des Arbeitskräftemangels im Deutsch-französischen Krieg 1870/71 bereits wieder geschlossen werden.
Die Idee den Vorderrädern der hölzernen Laufräder, oder auch Draisinen, eine Tretkurbel zu verpassen stammte aus Frankreich. 1867 stellte der Wagenbauer Pierre Michaux seine „Michauline“ auf der Pariser Weltausstellung vor – von da an verbreitete sich die neue Antriebsidee dann im übrigen Europa. Die Fortbewegung auf den Tretkurbelrädern war nichts für Ungeübte: die Straßenverhältnisse waren schlecht und das Radeln allein schon aufgrund des hohen Gewichts des Rades selber sehr anstrengend. Diese neue Art der Fortbewegung wurde nicht als Fahren, sondern als Reiten bezeichnet. So kam auch der Name des ältesten Radfahrvereins der Welt zustande: der am 17. April 1869 gegründete „Eimsbüttler Velozipeden-Reit-Club“. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten auch die Gebrüder Schlüter aus Pinneberg, die sich, wie viele andere Velocipedenfabrikanten nach ihnen, von ihrer Vereinsunterstützung eine höhere Popularität des Sports und damit auch eine erhöhte Nachfrage nach ihren Produkten erhofften.
Der Verein, der sich im Jahre 1881 den neuen Namen „Altonaer Bicycle-Club“ gab, hatte in seinen Vereinsstatuten und im Reitreglement festgelegt wie man sich als Vereinsmitglied im Straßenverkehr zu verhalten hatte. Dazu gehörten zum Beispiel das vorsichtige Umfahren von Frauen, Kindern und älteren Menschen, sowie ein besonders umsichtiges Vorgehen beim Kontakt mit Pferden, um diese nicht zu erschrecken.
Um die Geschwindigkeit der Fahrräder zu erhöhen wurden die Vorderräder immer größer. Die eisernen Hochräder wiesen jedoch eine große Unfallgefahr auf. Die Lösung brachte erst die Entwicklung des „Sicherheits-Niederrades“. Das Rad hatte wieder ein kleines Vorderrad und war dennoch dank Kettenantrieb mit einer speziellen Übersetzung schnell. Mit der Erfindung der Luftbereifung 1888 von J.B. Dunlop gelang dem Niederrad der endgültige Durchbruch.
Die sportliche Betätigung mit den Zweirädern war zunächst ein Privileg der Männer der oberen Schichten. Auch in dem ersten „Elmshorner Radfahrer-Verein von 1887“ kamen die Mitglieder ausschließlich aus dem mittleren und gehobenen Bürgertum. Den Frauen war im 19. Jahrhundert aufgrund der herrschenden Moralvorstellungen und der Kleiderordnung das Radfahren nicht gestattet. Auch die Arbeiter blieben ausgeschlossen, da einerseits die Preise für Fahrräder zu hoch waren und andererseits eine scharfe Trennung zwischen Bürgertum und Arbeiterschicht herrschte. Erst mit der Verbilligung der Fahrräder um 1900 schlossen sich auch Arbeiter in Radfahrvereinen zusammen wie im 1896 gegründeten Elmshorner Arbeiter Radfahrer-Verein „Vorwärts“.
Seit nunmehr 77 Jahren befindet sich dieses sogenannte „Tretkurbelvelocipid“ nun schon in der Elmshorner Museumssammlung. Am 3. Mai 1934 wurde es von der Elmshornerin Frau Keller gespendet, die dazu angab es sei das älteste Fahrrad, das in Elmshorn je benutzt worden sei. Das Tretkurbelrad gehört ebenso wie ein Hochrad zu den Highlights der Sammlung und wird seit nunmehr 20 Jahren von Jung und Alt in der Dauerausstellung des Industriemuseums bestaunt. Anlässlich des 20jährigen „Geburtstags“ des Industriemuseums findet übrigens am 29. Mai ein Kunsthandwerkermarkt mit Aktionsständen für Groß und Klein von 10.00 bis 17.00 Uhr im Industriemuseum statt.
Wer aber noch mehr über die spannende Geschichte der Fahrräder wissen möchte, sollte im Fahrradmuseum „Räder unter Reet“ der Fahrradgruppe Rückenwind in Horst-Hahnenkamp vorbeischauen. Übrigens: auch die Fahrradgruppe Rückenwind kann diesen Monat feiern. Am 7. Mai 2011 existiert der Verein schon seit 30 Jahren. Dazu herzlichen Glückwunsch vom Industriemuseum – so ganz von Jubilar zu Jubilar!
Inventar-Nummer: A 0142
Durchmesser Vorderrad: 72 cm
Durchmesser Hinterrad: 62 cm
Hersteller: W. Schlüter, Pinneberg
Ausgestellt in der Dauerausstellung des Industriemuseums