Foto: Industriemuseum
Objekt des Monats Mai 2022 | Klapp-Postkarte von Helgoland
von Sonja Degenhard
Datierung: Poststempel 1905
Material: Karton, bedruckt im Lithografie-Verfahren und beschrieben mit Bleistift
Maße: ausgeklappt 29,5 cm lang und 6,1 cm hoch
Hersteller und Herstellungsort: M. Glückstadt & Münden, Hamburg (Verlag) und Glass & Tuscher, Leipzig (Druck)
Inventarnummer: BA2021-0087
Klapp-Postkarte mit Ansicht von Alt-Helgoland
Auf der Innenseite der Ansichtskarte ist eine Zeichnung von Helgoland zu sehen, in etwa vom Standpunkt der Düne aus. Dargestellt sind die kolorierten Gebäude auf dem Unter- und Oberland im Zustand vor der Zerstörung durch den Zweiten Weltkrieg. Außerdem sind der Aufzug und die Treppen zum Oberland, der Leuchtturm und der Turm der evangelischen Kirche St. Nicolai zu erkennen. Am Strand sticht die dunkel dargestellte Landungsbrücke hervor. Einige Boote liegen im Wasser. Darunter befinden sich viele Ruderboote, ein Segelboot am Strand, ein Dampfschlepper und ein Schlachtschiff der kaiserlichen Marine mit Kanonen und Menschen an Bord.
Der Ausbau Helgolands zum Marinestützpunkt stellte für den Tourismus zunächst noch eine Attraktion dar. Die Insel sah zur Zeit des Kaiserreichs mehrere Flottenparaden, zum Beispiel im Jahr 1904 vor dem öffentlichkeitswirksamen, jährlich stattfindenden Kaisermanöver, bei dem der deutsche Kaiser Wilhelm II anwesend war. Als jedoch ab 1908 der Südhafen gebaut wurde, um die Marine zu beherbergen, begann der Seebad-Tourismus darunter zu leiden. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 kam der Tourismus zum Erliegen.
Am 13. September 1905 schickte die Absenderin Anne Sahs die Ansichtskarte von Helgoland los. Einen Tag später kam sie laut Poststempel in Elmshorn an. Die Karte enthält in Sütterlin geschriebene Geburtstagsgrüße an die Empfängerin Anna Tanck (geb. 13. September 1885), wohnhaft in der Friedrichstraße (heute Klostersande). Die Karte gibt ihr Motiv erst frei, wenn sie aufgeklappt wird. Die Außenseite ist für die Adresse der empfangenden Person vorgesehen. Ausgeklappt ist die Karte knapp 30 cm lang und damit etwa so lang wie zwei heutige, normalgroße A6-Postkarten aneinander. Jedoch ist die Karte schmaler als das heutige A6-Format, nämlich nur 6,1 statt 10,5 cm in der Höhe.
Als Anne die Karte an ihre damals zwanzigjährige Freundin Anna im Jahr 1905 verschickte, war Helgoland gerade einmal seit 15 Jahren deutsch und gehörte noch nicht zum Kreis Pinneberg, sondern zum Kreis Süderdithmarschen in der preußischen Provinz Schleswig-Holstein. Ab 1922 wurde die Insel ein eigenständiger Kreis. Diese Periode dauerte allerdings nur zehn Jahre – 1932 wurde der Kreis aufgelöst und Helgoland kam als amtsfreie Gemeinde zum Kreis Pinneberg, da der bevölkerungsreichste Kreis Schleswig-Holsteins wirtschaftlich stark war und eine große Verwaltung besaß. Diese Voraussetzungen stellten sich in der Nachkriegszeit als Vorteil heraus, als die evakuierten Helgoländer*innen versorgt werden mussten. Die Pinneberger Behörden arbeiteten in der Nachkriegszeit an der Rückgabe und Wiederbesiedlung Helgolands.
Da Helgoland im Laufe seiner Geschichte mehrmals die Nationalität wechselte, wurde auch das Postwesen der Insel mehrmals reformiert. Die Insel war wegen ihrer Lage nicht nur ein wichtiger Ort für den Seehandel, sondern auch für die Überbringung von Nachrichten. Die Beziehungen mit dem Festland waren seit jeher eng, was sich auch darin zeigt, dass noch unter dänischer Herrschaft bereits 1796 eine Hamburgische Postagentur auf Helgoland etabliert wurde.
Der Hamburger Verlag für Ansichtskarten M. Glückstadt & Münden vertrieb seine Produkte in ganz Norddeutschland, auch an vielen Orten in Küstengebieten und in Seebädern. Gedruckt wurden die Karten in Leipzig. Nach dem Tod des Firmengründers Moritz Glückstadt führte sein Schwager Anton Münden die Firma weiter. Der Schwerpunkt seiner Ansichtskarten lag nicht in erster Linie auf künstlerisch anspruchsvollen Motiven, sondern auf der Massentauglichkeit und guten Vermarktung der Ansichtskarten. Wohlhabende Reisende waren die größte Zielgruppe. Sie übernachteten meist in Hotels und kauften während ihres Aufenthalts fast automatisch Ansichtskarten. Deshalb sind auf vielen Karten von M. Glückstadt & Münden Hotels abgebildet. Die Reisenden wollten den Daheimgebliebenen mit den Ansichtskarten zeigen, in welch schönen Hotels sie übernachtet hatten. Egal wo genau auf Helgoland die Absenderin Anne Sahs Urlaub gemacht hat, sie hat sich für eine Ansicht der Ostseite der Insel entschieden, die das Flair des Seebads einfängt.
Der Verlag M. Glückstadt & Münden bestand von Ende des 19. Jahrhunderts bis 1939. Da die Mündens jüdisch waren, wurde ihre Firma nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten 1933 immer stärker bedroht und wirtschaftlich geschwächt. 1939 schaffte ein Teil der Familie es, nach Bolivien zu emigrieren. Das Vermögen der Familie wurde „eingezogen“ und die Firma „arisiert“. Anton Münden und seine Frau wurden 1942 ins Ghetto Theresienstadt verschleppt und dann im Vernichtungslager Treblinka ermordet. In Hamburg wurden Stolpersteine für sie vor ihrem ehemaligen Wohnhaus in der Straße Beim Andreasbrunnen verlegt.
In der Sammlung des Industriemuseums gibt es einige an Anna Tanck adressierte Ansichtskarten. Die gelernte Handarbeits- und Turnlehrerin heiratete am 11. September 1909 den Schlossermeister Johann Bernhard Winterboer und führte nach dem Zweiten Weltkrieg einen Kolonialwarenladen in der Friedrichstraße 27. Anna erhielt oft Weihnachts- und Neujahrsgrüße von Freundinnen und Verwandten wie diese Helgoland-Postkarte von Anne Sahs. Die Absenderin besuchte wahrscheinlich das Konversationshaus (Veranstaltungshaus mit Restaurant und Musikkapelle), schnupperte die pollenfreie Seeluft und bestaunte zahlreiche Naturerlebnisse bei den Helgoländer Steilklippen, zum Beispiel den Lummenfelsen. Es gab also und gibt auch heute noch viele gute Gründe, nach Helgoland zu reisen. Sie haben keine Zeit für einen Kurztripp auf die Insel? Erleben Sie die Sonderausstellung „Mythos Helgoland“ im Industriemuseum Elmshorn!