Eine Geschichte von Solidarität – der Jutesack der Genossenschaftsmühle Elmshorn
So unscheinbar der Mehlsack in der Dauerausstellung des 1. Obergeschosses im Industriemuseum Elmshorn auf den ersten Blick sein mag, so bedeutend ist die Geschichte, die hinter dem Stückchen Jute steckt. Für uns ist es heute selbstverständlich, Lebensmittel von guter Qualität zu moderaten Preisen zu erstehen. Noch vor rund hundert Jahren war es jedoch eine stete Herausforderung, die eigene Familie mit ausreichenden Grundnahrungsmitteln – wie eben auch Mehl – zu versorgen. Hier setzt die Geschichte unseres Jutesacks aus der Genossenschaftsmühle Elmshorn an, die von Solidarität erzählt.
Mühlengewerbe und Schweinemast im 19. Jahrhundert
Für die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln spielten Getreidemühlen lange Zeit eine wichtige Rolle, da Mehlspeisen und Brot zur Hauptnahrung vieler Menschen gehörten. Bis in das Jahr 1854 herrschte in den Herzogtümern Schleswig und Holstein der so genannte Mühlenzwang. Errichtet werden durften Mühlen nur von den jeweiligen Grundherren, welche sie wiederum an Müller verpachteten. Jeder Mühle wurde ein Bezirk zugewiesen und die dort ansässige Bevölkerung stand unter dem Zwang, ihr Getreide ausschließlich dort mahlen zu lassen. Dies führte immer wieder zu Auseinandersetzungen, bis der Mühlenzwang schließlich abgeschafft wurde. Seit 1854 durften Mühlen unabhängig dieser Vorgaben gebaut und genutzt werden. Für Elmshorn bedingte die Aufhebung des Mühlenzwangs zur Zeit der Industrialisierung eine rasante Entwicklung: mit Hilfe des Einsatzes von Dampfmaschinen automatisierte sich die Mehlherstellung und führte zur Gründung erster Großbetriebe. Diese spezialisierten sich schnell auf die Herstellung von Futtermittel, das vor allem für die Schweinemast genutzt wurde. Als Schnittstelle zwischen Eisenbahn- und Schiffsverkehr entwickelte sich Elmshorn zu einer über die Grenzen bekannten Mühlenstadt und einem Zentrum der Schweinemast: Über die Krückau konnte Getreide schnell und günstig eingeführt werden. Die ländliche Umgebung bot Raum für die Schweinemast und die Mastschweine wiederum wurden per Eisenbahn nach ganz Deutschland transportiert.
Das Prinzip Selbsthilfe in der Landwirtschaft
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde das als Futtermittel weiterverarbeitete Getreide vielfach aus dem Ausland eingeführt. Die Besitzer großer Mühlen konnten günstig große Mengen an Getreide einkaufen, verarbeiten und an Schweinemastbetriebe absetzen. Da viele Müller mit den günstigen Verkaufspreisen nicht mithalten konnten, kam es zu der Monopolisierung einiger weniger Futtermittelmühlen. Gleichzeitig machten sich Landwirte, die in der Schweinemast tätig waren, von diesen Großmühlenbesitzern abhängig. Als Lösungsansatz dieser Problematik gilt das Prinzip der Selbsthilfe, wie jenes der Organisation in genossenschaftlichen Verbänden. Zu einem solchen Verband schlossen sich im Jahr 1914 insgesamt 340 Landwirte aus den Kreisen Steinburg und Pinneberg zusammen und gründeten die Genossenschaftsmühle Elmshorn. Mit ihrer Fusion konnten sie Unabhängigkeit der Mastbetriebe gegenüber den Großproduzenten erlangen und sich als Futtermittellieferant gleichzeitig auf dem Markt behaupten.
Die Genossenschaftsmühle Elmshorn e.G.m.b.H.
Die Genossenschaftsmühle Elmshorn etablierte sich bis in die 1930er Jahre durch Ankauf weiterer Mühlen und eines Siloneubaus direkt im Hafen zu der größten Schrotmühle Elmshorns. Neben dem Hauptgebäude am Hafen bestand ebenfalls eine Außenstelle am Barmstedter Bahnhof. Die Genossenschaft existierte bis 1991. Heute steht der Jutesack in der Dauerausstellung symbolisch für das Prinzip der Selbsthilfe in Zeiten des Wandels vom Handwerk zu Industriebetrieben.
Inventarnummer: 2005-0086
Datierung: 20. Jahrhundert
Material: Jute, Hanf
Maße: H: 105 cm, B: 70 cm, T: 45 cm
Nutzungsort: Elmshorn
Standort: Dauerausstellung, 1. OG, Industriemuseum Elmshorn