Foto: Industriemuseum
Objekt des Monats Februar 2022 | Das Trinkhorn des Arbeitergesangvereins „Eintracht“
von Sonja Degenhard
Datierung: 1907
Material: Rinderhorn, Silber, Messing, Textiles Material
Maße: 44 cm lang, 9 cm breit an der Öffnung, 29 cm tief (Silbermanschette bis Spitze)
Hersteller: unbekannt
Inventarnummer: A-0392
Ein Geschenk des Wirts
Ein langes, in sich gedrehtes Rinderhorn liegt in der Arbeiter*innenkultur-Vitrine im 2. Obergeschoss des Industriemuseums Elmshorn. Bei genauerem Betrachten fallen die schwarze Spitze des Horns und der mit Silber beschlagene Rand auf. In der Mitte des Horns ist eine Silbermanschette angeschraubt. Die Manschette ist graviert mit den Worten: „Dem Arbeiter Gesangverein ‚Eintracht‘ / gew. v. ihrem Vereinswirt / J. Hinrichs / 1907“ Zwei eingeschraubte Messingösen halten eine kurze Kordel, mit der das Horn an einem Wandhaken angebracht werden kann, denn zum Hinlegen ist es wegen seiner gedrehten Form nur bedingt geeignet. Anhand des Widmungsjahres verrät das Horn, dass es schon 115 Jahre alt ist. Trinkhörner und Trinkstiefel waren und sind ein fester Bestandteil der geselligen Rituale in Gesangvereinen. An Gründen, es zu füllen, mangelte es dem Arbeitergesangverein „Eintracht“ vermutlich selten.
Die Arbeitersänger*innenbewegung, die in den 1860er Jahren mit selbstständigen Gesangsvereinen ihren Anfang nahm, gehörte zu den großen massenwirksamen Arbeiter*innenkulturorganisationen der Weimarer Republik. Der Elmshorner Verein „Eintracht“ ging 1896 aus der Gesangsabteilung eines Arbeiterbildungsvereins hervor und zählte zu den sechs im Kreis Pinneberg nachweisbaren Arbeitergesangvereinen. 1902 bestellte der Arbeitergesangverein „Eintracht“ eine Fahne, die sich ebenfalls in der Sammlung des Industriemuseums befindet. Sie wurde von einer Hamburger Firma kunstvoll hergestellt. Die Fahne ist beidseitig bestickt: Auf einer Seite befinden sich der Vereinsname, sein Gründungsjahr und das Enthüllungsjahr der Fahne. Die andere Seite zieren ein Schwan, eine Lyra und ein Eichen- und Lorbeerkranz sowie der Spruch „Sind wir von der Arbeit müde, ist noch Kraft zu einem Liede!“ Die seitlichen Schleppen wurden von den Vereinsfrauen nachträglich genäht und angefügt. Das Vereinsmitglied Hermann Kölln versteckte die Fahne 1933 in einem Zinksarg im Erdreich und schützte sie somit vor dem Zugriff durch die Nationalsozialisten. Nach dem Krieg wurde die Fahne wieder geborgen und repräsentierte den Gesangverein weiterhin bei Auftritten. So wurde zum Beispiel bei Umzügen durch die Stadt Elmshorn die Fahne stets den Sänger*innen voraus getragen. Die Fahne wurde 1983 dem Industriemuseum übergeben, kann aber aufgrund der empfindlichen Textilstruktur nicht ausgestellt werden.
Im Jahr 1911 besaß der Verein 26 Mitglieder, drei Jahre später schon 57. Sein Vereinsheim beim Gastwirt Johann Hinrichs lag zu dieser Zeit in der Peterstraße 11. Zuvor hatte sich der Verein seit seiner Gründung im „Drei Kronen“, Gärtnerstraße 92 bei Gastwirt August Andresen getroffen. Das Hotel „Drei Kronen“ besteht heute noch, anders als das Lokal an der Peterstraße. Wann genau zwischen 1900 und 1911 der Arbeitergesangverein „Eintracht“ das Lokal wechselte, ist unbekannt. Vielleicht schenkte Wirt Hinrichs dem Verein das mit Silber beschlagene Rinderhorn zum „Einzug“ 1907 in sein Lokal. Der Wirt beherbergte „seinen“ Verein vermutlich noch einige Jahre, nachweislich mindestens bis 1916. Jedoch ist im Elmshorner Adressbuch von 1926 bereits ein anderer Gastwirt für das Lokal an der Peterstraße 11 eingetragen.
In der Weimarer Republik erfuhr der Arbeitergesangverein „Eintracht“ einen starken Aufschwung und wuchs bis 1928 auf 247 aktive und passive Mitglieder an. Zu seinem musikalischen Repertoire gehörten neben Arbeiter*innenliedern auch klassische Chorwerke, Walzer und Volkslieder, die dem bürgerlichen Musikgeschmack entsprachen. Schon 1920 richtete der Elmshorner Verein einen „gemischten Chor“ ein und genoss daraufhin einen großen Zulauf an weiblichen Mitgliedern. Der Vereinsname wurde in Volkschor „Eintracht“ geändert. Im Laufe des nächsten Jahres wuchs der Verein auf 100 Sänger und 70 Sängerinnen an. 1928 besaß er fast ebenso viele weibliche wie männliche Mitglieder. In der NS-Zeit wurde auch der Elmshorner Volkschor „Eintracht“ gleichgeschaltet und erlitt damit einen großen Mitgliederschwund. Nach 1945 bestand er noch einige Jahre als eigenständiger Verein. 1959 besiegelte jedoch die Wende der SPD zur Volkspartei das Ende der Arbeitersänger*innenbewegung und viele Sänger*innen traten bürgerlichen Vereinen bei.
Möchten Sie das Horn einmal im Original betrachten? Es befindet sich in einer Vitrine im 2. Obergeschoss des Industriemuseums, in welchem das Alltags- und Arbeiter*innenleben in der Industrialisierung dargestellt wird.