Fernsprechtischapparat
Was hat keine Wählscheibe und kein Tastenfeld aber man kann trotzdem damit telefonieren? Nein, gemeint ist kein Smartphone mit Touchpad – es handelt sich bei dem Objekt des Monats Juli um einen Fernsprechtischapparat mit Handkurbel. In Zeiten in denen Jugendliche schon von einer Wählscheibe befremdet sind und verzweifelt in die Löcher der selbigen tippen (so beobachtet von einem Freund des Industriemuseums) stellt der Anblick eines Kurbeltelefons jüngere Besucherinnen und Besucher vor ein Rätsel.
1872 meldete der US-Amerikaner Alexander Graham Bell einen Telefonapparat zum Patent an, der auf der Erfindung des deutschen Phillipp Reiss basierte. Um 1900 kamen die ersten Fernsprechtischapparate auf den Markt, bei denen Hör- und Sprechelemente in einen Hörer zusammengefasst waren. Die am Apparat befindliche Kurbel musste gedreht werden und es meldete sich eine Telefonistin, die die gewünschte Verbindung herstellte.
Die Tätigkeit der Telefonistin entwickelte sich ab Ende des 19. Jahrhunderts als ein neues Berufsfeld für Frauen. Das die weibliche Beschäftigung in die Männerdomäne der Reichspost Einzug hielt ist auf verschiedene Aspekte zurück zu führen. Die ersten Vermittlungsstellen waren noch ausschließlich mit männlichen Postbediensteten, in der Regel Beamten besetzt. Mit dem Ausbau des Telekommunikationsnetzes wuchs auch der Bedarf an Arbeitskräften an den sogenannten Klappenschränken, der zunächst noch mit männlichen Hilfskräften gedeckt wurde. Als ab 1887 versuchsweise die ersten weiblichen Hilfskräfte eingestellt wurden, konnten diese sich schnell an dem neuen Arbeitsplatz behaupten. Es wurde allgemein anerkannt, dass die höhere Stimmlage für bessere Verständlichkeit und Frauen eine mäßigende Wirkung auf die Kunden hätten. Der männlich dominierte Arbeitsplatz wurde innerhalb kurzer Zeit zu einem Frauenberuf und so ist der Ausdruck „Fräulein vom Amt“ noch heute vielen ein Begriff. Der ausschlaggebende Grund für die verstärkte Beschäftigung von Frauen war, wie bei den meisten weiblichen Arbeitsplätzen, der Kostenfaktor. Obwohl die jungen, unverheirateten Vermittlungsbeamtinnen über eine gute Schulbildung verfügten und aus der gehobenen Bevölkerungsschicht stammten, wurden sie schlechter bezahlt als geringer qualifizierte männliche Hilfsarbeiter. Herkunft und Bildung der Telefonistinnen erleichterte den Frauen den Umgang mit ihren Kunden, da die Benutzung des Telefons zunächst überwiegend Repräsentanten aus Industrie, Handel, Banken und Verwaltung vorbehalten war. So waren von den 72 Unternehmen und Personen die 1896 an der „Stadt-Fernsprecheinrichtung in Elmshorn“ teilnahmen, die meisten Fabrikanten, Kaufleute und Ärzte.
Mit der Entwicklung der automatischen Verbindungstechnik verschwand das Berufsbild der Telefonistin nach und nach. Das erste automatische Ortsamt wurde 1908 in Betrieb genommen, die Umstellung des gesamten deutschen Ortsnetzes war allerdings erst 1966 abgeschlossen.
Das schwere Handkurbeltelefon aus schwarz lackiertem Metall, Holz und Bakelit ist im Erdgeschoss des Industriemuseums Elmshorn ausgestellt. Sie finden es in der Inszenierung des Kontors einer Lederfabrik. Hergestellt wurde das Stück Telekommunikationsgeschichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den 1899 gegründeten Telefonwerken Neufeldt und Kuhnke. Das Kieler Unternehmen, besser bekannt unter dem Namen Hagenuk, produzierte in den 1970er Jahren auch den orangefarbenen Wählscheiben-Klassiker „FeTAp 61“ aus Kunststoff. Diesen kultverdächtigen Telefonapparat können Sie ab dem 17. September 2011 auch in der neuen Sonderausstellung des Industriemuseums „Plastic World – Design und Alltagskultur 1967-1973“ bewundern.
Noch ein Tipp für alle Kinder die gerne mal eine Wählscheibe rotieren lassen wollen: Beim Kindergeburtstagsprogramm „Was ist das denn? Vergessene Dinge neu entdeckt – mit Bertha auf Schatzsuche“ könnt ihr nicht nur ein altes Wählscheibentelefon, sonder auch eine alte Schreibmaschine ausprobieren!
Inventar-Nummer: A 0360
Maße Gehäuse: 20 x 13 x 18 cm
Material: Holz, Metall, Bakelit
Hersteller: Telefonwerke Neufeldt und Kuhnke, Kiel (heute: Hagenuk)
Herstellungsnummer: 1531