Nass, grau und kalt?
Der Winter in Norddeutschland kann einem schon manchmal die Laune verhageln. Statt weißer Winterlandschaften erwarten einen vor der Tür meist nur nasskaltes Wetter und Schneematsch auf den Straßen. Doch es gibt sie, die winterlichen Tage, an denen der Schnee tatsächlich liegen bleibt. Dann gibt es gerade für Kinder oft kein Halten mehr. Eingepackt in warme Wintersachen wird der Schlitten aus dem Keller geholt und es geht ab nach draußen. Für viele Elmshorner sind wilde Rodelfahrten auf dem Butterberg im Liether Wald ein fester Bestandteil ihrer Kindheitserinnerungen und noch heute ist Elmshorns höchste Erhebung ein beliebter Anlaufpunkt für Rodelbegeisterte jeden Alters. Skibobs, Plastikschalen, oder sogar aufblasbare Rutschmatten drohen zwar seit Jahren, dem typischen Schlittenmodell aus Holz den Rang abzulaufen, doch der Klassiker unter den Schlitten hat sich seinen festen Platz auf den Rodelpisten bewahrt. Unabhängig davon, für welches Transportmittel man sich entscheidet, sie alle haben jedoch einen entscheidendem Nachteil – sie sind wenig flexibel. Gesteuert wird häufig nur durch die Verlagerung des eigenen Körpergewichts oder das Aufsetzen der Füße. Solche Manöver gehen häufig zu Lasten der Geschwindigkeit und enden nicht selten im Schnee.
Ein amerikanischer Schlitten in Deutschland
Glänzend poliertes Holz, ein Aufdruck aus Stechpalmenzweigen und der rote Schriftzug Fire Fly – Glühwürmchen – machen das Objekt des Monats bereits zu einem echten Hingucker. Der eigentliche Glanzpunkt liegt jedoch im vorderen Teil dieses Schlittens. Das Metall der Kufen gibt mittig leicht nach und die T-förmige Querachse, an deren Enden sich Seile wie Zügel befestigen lassen, ist flexibel nach links und rechts beweglich und verleiht dem Fahrer so Kontrolle über seine Fahrtrichtung ohne dabei an Geschwindigkeit einzubüßen. Dieser Schlitten lässt sich steuern!
Der Fire Fly der Firma S. L. Allen & Co. war das erste Modell einer Schlittenserie, die unter dem Namen Flexible Flyer seit Beginn des 20. Jahrhunderts Generationen von Amerikanern durch die Winter ihrer Kindheit begleitete. Bei diesem Schlitten handelt es sich um das Modell 12d, das in den 1920er Jahren in der Fabrik in Philadelphia produziert wurde. Gekauft wurde er vermutlich in Hamburg. Sein Vorbesitzer erhielt ihn 1974 von seinem Großvater als Weihnachtsgeschenk und nutzte ihn viele Jahre für aufregende Rodelfahrten, auch auf dem Elmshorner Butterberg. Wie genau ein amerikanischer Schlitten unter einen deutschen Weihnachtsbaum gelangte, lässt sich leider nicht mehr nachvollziehen.
Von der Erntemaschine zum Rodelschlitten
Sein Schöpfer Samuel Leeds Allen (1841-1918) machte sich jedoch zunächst durch ganz andere Erfindungen einen Namen. Der Sohn einer Quäkerfamilie aus Philadelphia gründete im Alter von 25 Jahren gemeinsam mit seinem Vater die Firma S.L. Allen & Co, die Erntemaschinen größtenteils nach Allens Plänen herstellte. Zu seinen ersten Patenten gehörte eine Sämaschine, die aus zwei mit einem Metallring verbundenen Waschzubern bestand, in deren Seiten er zuvor Löcher gebohrt hatte. Mit ihren zwei Griffen aus Holz erinnerte sie ihn an den Ringplaneten Saturn und erhielt daher den Namen „Planet Drill“. Als Firmenlogo ziert der Planet auch die Unterseite des Schlittens. Bis zu seinem Lebensende hatte Allen fast 300 landwirtschaftliche Maschinen patentieren lassen.
Doch warum der Wechsel von Erntemaschinen zu Rodelschlitten? Die Herstellung von landwirtschaftlichem Gerät war ein saisonales Unterfangen. In der warmen Jahreszeit schwand die Nachfrage nach Allens Waren und die Mitarbeiter widmeten sich wieder der Feldarbeit. Um sein geschultes Personal ganzjährig beschäftigen zu können, benötigte er ein Produkt, das über den Sommer produziert und im Winter verkauft werden konnte. Seine Wahl fiel auf Schlitten.
„The Sled that Steers“
Allen, der als junger Schüler selbst ein begeisterter Rodler war, kannte die Nachteile normaler Schlitten aus eigener Erfahrung. Einer seiner Mitschüler zog sich beim Rodeln eine schwere Kopfverletzung zu als er ungebremst in ein stehendes Auto raste. Allen entwickelte zunächst mehrere Prototypen, die er durch seine Tochter und ihre Freunde erproben ließ. Das Ergebnis seiner Mühen war der Flexible Flyer, den er im August 1889 patentieren ließ. Das erste Modell der Reihe, der Fire Fly, wurde erstmals 1890 hergestellt. Der steuerbare Schlitten war zu jener Zeit eine absolute Neuheit. Wie die ersten Werbeanzeigen betonten war er schneller, sicherer und haltbarer als gewöhnliche Schlitten und blieb dabei trotzdem erschwinglich.
Dennoch stellte sich der wirtschaftliche Erfolg nicht sofort ein. Die firmeneigenen Verkäufer taten sich schwer damit, statt der üblichen Erntemaschinen die Vorzüge eines Wintersportgeräts zu bewerben. Erst als Allen zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann, sein Produkt in den Spielzeugabteilungen größerer Kaufhäuser zu vertreiben, schnellten die Verkaufszahlen in die Höhe. Im Winter des Jahres 1915 allein wurden 120.000 Schlitten verkauft. Flexible Flyer entwickelten sich schnell zu Prestigeobjekten auf den Rodelpisten. Auch nach Allens Tod 1918 stellte die Firma S.L. Allen & Co. weiterhin erfolgreich Schlitten und anderes Wintersportgerät her bis sie 1968 schließlich verkauft wurde. In den folgenden Jahrzehnten wechselte sie mehrfach den Besitzer, die Produktion wurde 1999 endgültig eingestellt. Der Fire Fly wurde noch bis zuletzt produziert.
Inventarnummer: 2018-0381
Modell: Fire Fly 12d
Material: Holz, Metall
Technik: lackiert, bedruckt
Datierung: 1920er Jahre
Maße: L: 114 cm, B: 58 cm, H: 16 cm
Standort: Depot, Industriemuseums Elmshorn