Ein Ranzen vor der DIN-Norm
„Eene, tene Tintenfaß, geh zur Schule, lerne was! Lerne was, so kannst du was! Kannst du was, so bist du was.“ Die Schulferien neigen sich dem Ende zu. Nochmal kräftig ausschlafen und in den Tag hineinleben, bevor es erholt und mit voller Freude in die Schule geht – natürlich mit dem Schulranzen! Für viele beginnt mit der Einschulung in wenigen Tagen ein neuer und wichtiger Lebensabschnitt. Schultüte und Schulranzen gehören mit dazu und der Ranzen mit seinen Utensilien ist in Zukunft der tägliche Begleiter im Schulalltag.
In den letzten 100 Jahren hat sich der Schulranzen deutlich weiterentwickelt. Das Museumsobjekt des Monats zählt zu den frühen Modellen und besteht aus braunem Rindsleder, welches eine rechteckige Prägung auf der Vorder- und Rückseite besitzt. Von Sicherheitsbestimmungen und DIN-Norm noch weit entfernt. Die Spuren des täglichen Gebrauchs sind zu erkennen und sicherlich könnte der Ranzen viele aufregende Geschichten erzählen. Verschlossen wird der Tornister zum einen durch die zwei Trageriemen, da diese über das Ende der kurzen Klappe hinaus geführt werden. Die Riemen können in der Länge verstellt werden, wobei einer der Beiden am unteren Ende eingehängt wird. Dies erleichtert das Öffnen des Ranzens erheblich. Zusätzlich lässt sich mit der auf der Vorderseite des Ranzens befindlichen Dornschließe, die Ranzenklappe verschließen. Die Ranzen der Jungen wurden zunächst mit Riemchen verschlossen, später setzten die Hersteller Schnappschlösser ein.
Vorläufer des Schulranzens ist der Tornister der Soldaten aus Fell- oder Segeltuch. Schon von Beginn an wurde auch bei Schulranzen geschlechterspezifisch unterschieden. So waren die Klappen von Jungenranzen länger als bei den Mädchen. Ebenfalls unterschied sich der Verlauf der Trageriemen – bei den Mädchen liefen schmale Riemchen über Kreuz. Der traditionelle Bubenranzen hatte außen unter der Lasche ein zusätzliches Fach.
Ebenfalls ließen sich auch damals schon am Ranzen Standesunterschiede ablesen, da dieser an das Geschwisterkind weitergereicht wurde und nach häufiger Nutzung bereits entsprechend abgewetzt aussah. Wie heute gab es auch bereits vor hundert Jahren große Unterschiede in Qualität und Preis. Neben massiven Echtleder wahlweise mit Seehunddeckel, Kuhfell oder Segeltuch gab es auch den Ranzen mit gefassten Ledertuch oder changiertem Kunstleder.
In den Klosterschulen, den ersten Schulen unserer Kultur, benötigten die SchülerInnen keinen Ranzen, da Bücher und Papier für den häufigen Transport zu kostbar waren. Die benötigten Utensilien trugen die SchülerInnen als Bündel in der Hand. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Ranzen Gegenstand des Schulalltages.
Schiefertafel & Co.
Was trugen die SchülerInnen vor hundert Jahren in ihrem Ranzen? Neben der Handschiefertafel und der Fibel gehörten unbedingt die hölzerne Griffelschachtel und die Schwammdose für das Reinigen der Tafel in den Ranzen. Das Wischen der Tafel ordnete der Lehrer an. Oftmals befand sich noch ein hölzernes Lineal im Gepäck.
Bis in die 1950er Jahre lernten die Kinder auf der Schiefertafel schreiben und rechnen. Doch nicht immer war die Schreibtafel auch wirklich aus Schiefer. Es wurden Tafeln aus Blech, Porzellan und Pappe angeboten – oder sie hatten einen Überzug aus Kunststein, Zellstoff oder Pergament. Die während des Zweiten Weltkrieges eingetretene kriegswirtschaftliche Lage machte die Schiefertafel zu einem Objekt, dass es sie nur noch in Notfällen auf Bezugsschein gab. Zum Schreiben nutzen die Kinder Dachschiefer oder Zeitungsränder. Nachhaltig war die Schiefertafel. Ein Nachteil der Schiefertafel war aber ihre leichte Zerbrechlichkeit. Außerdem gab es beim Schreiben oftmals unangenehme Kratzgeräusche und das Geschriebene – sofern die Tafel nicht im Ranzen durch eine Tafelhülle geschützt war – verwischte und wurde unkenntlich.
Das Schreiben auf der Schiefertafel war eine Kunst für sich. Wurde der Griffel zu leicht geführt, war das Ergebnis kaum zu lesen. Bei zu starkem Druck bekam die Tafel bald tiefe Furchen und wurde mit der Zeit unbrauchbar. Erschwerend kam hinzu, dass der Griffel selbst sehr zerbrechlich war.
Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte weitestgehend Trennung von Konfession und Geschlecht das Schulsystem. Nach dem Ersten Weltkrieg reformierte die Weimarer Republik mit der Weimarer Reichsverfassung (1919) und dem Reichgrundschulgesetz (1920) das Schulsystem. Hervor ging die für alle verpflichtende vierjährige Volksschule, die der Vorläufer unserer heutigen Grundschule ist. Die Volksschule wurde meist von Kindern aus ärmeren Verhältnissen besucht. Wohlhabende Familien schickten ihre Kinder – sofern sie keinen Privatunterricht in Anspruch nahmen – meist auf eine private oder staatliche Vorschule, die die Kinder explizit auf das Gymnasium vorbereitete. Erst um die Jahrhundertwende erhielten Mädchen den Zugang zum Abitur. Dieses war notwendig, um ein Universitätsstudium anzutreten. 1927 gelang es der 20-jährigen Else Rathje als erste Elmshorner Frau das Abitur abzulegen. Rathje besuchte im Anschluss an die Bismarckschule die Universität und promovierte in Wirtschaftswissenschaften.
Schule vor 100 Jahren
Im Industriemuseum Elmshorn können die Besucher ein Schulzimmer aus vergangenen Zeiten besichtigen. Neben dem Schulranzen gibt es dort die klassische Schulbank, die erahnen lässt, wie der Unterricht früher mit Schiefertafel, Griffel und Rohrstock vonstattenging. Beliebt ist die „alte Schule“ nicht nur bei Kindern: Schule wie vor 100 Jahren lässt sich prima in einer Führung oder einem Kindergeburtstag mit der Museumsmaus Bertha erleben.
Inventarnummer: 2008-0149
Datierung: um 1930
Material: Leder, Metall
Maße: Breite: 33 cm, Höhe: 27cm, Tiefe: 9 cm
Hersteller: unbekannt
Standort: Industriemuseum Elmshorn